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Abb. 1 Aktuelle Straßenansicht 2013 (Deutsches Fachwerkzentrum Quedlinburg e.V. - DFZ Qlb.)
Baujahr: 1578(i)
Inschriften:
Dis Haus hab ich gekaufft und erbawet durch Gottes Hülff und Radt, ob mirs gleich mancher vergönnet hat. Anno Christi 1578
Wo der Herr nicht das Haus bawet, so arbeiten umbsonst, die daran bawen. Wo der Herr nicht die Stad behütet, so wachet der Wechter umbsonst
Am Bau Beteiligte:

1. Klassifikation des Gebäudetyps

Das Gebäude Mittelstraße 26 ist ein dreistöckiger Fachwerkbau und wurde laut Inschrift 1578 errichtet.

2. Objektbeschreibung

Lage:

Die Mittelstraße verläuft durch den Stadtkern Osterwiecks und ist eine der erstbebauten Straßen in der Stadt. Dort befinden sich einige Fachwerkhäuser mit reich geschmückter Fassade. Dazu gehört auch das Wohnhaus Mittelstraße 26 (1).

Beschreibung:

Es ist ein traufständiger Baukörper mit einem beinahe quadratischen Grundriss von 11.10 m x 11.25 m (im Unterstock). Aufgrund eines im südlichen Bereich der Fassade befindlichen Kellerfensters lässt sich ein Kellerraum unterhalb des südöstlichen Gebäudeteils vermuten.
Drei aufgehende Stockwerke und ein hohes Satteldach bilden die Kubatur des Hauses. Etwas außermittig erhielt das Dachwerk ein Zwerchhaus mit Ladeluke. Auf den Stockschwellen sind Psalmen und Schriftzüge zu sehen, durch welche sich die Errichtung des Gebäudes auf das Jahr 1578 datieren lässt.

Fassaden und Fronten:

Fassade, Rückfront und die Giebel sind in Stockwerksbauweise über einem etwa 50 cm hohen Sockel, teilweise aus Ziegelstein, teilweise aus Sandstein, errichtet worden. Die Traufwände zeigen eine Ständeranordnung in Reihung in Achse der Deckenbalken und sind neun Gefache lang. In der Höhe erhalten die Stockwerke entlang der Fassade durch Brüstungsriegel je eine Zweierteilung. Dabei kragen sie etwa 28 cm gegenüber den unteren Stockwerken vor, an der Rückfront wurde auf eine Vorkragung verzichtet. Die schmuckvolle Gestaltung des Hauses beschränkte sich zur Bauzeit auf die Fassade, beginnend mit einer Toreinfahrt im nördlichen Bereich des Unterstocks. Der bauzeitliche Ständer der Ecke Fassade/Nordgiebel zeigt Schnitzereien, die einen rundbogigen Verlauf einer zwei Gebinde breiten Toröffnung vermuten lassen. Das darüber verlaufende Rähm besitzt Reste einer Ornamentik oder weiteren Inschrift.
Die über den Stockwerken vorkragenden Balkenenden haben - ebenso wie die darunter befindlichen Knaggen - abgerundete Balkenköpfe mit seitlicher Fase. Aus den dazwischen liegenden Füllhölzern, welche die von außen sichtbaren Freiräume zwischen den Balkenköpfen jeden Geschosses aussetzen, sind Schiffskehlen - gefüllt mit einem taustabähnlichen uster - herausgearbeitet.
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Abb. 2 Füllholz mit Schiffskehle und Taustab (DFZ Qlb.)
Die Saumschwellen der oberen Stockwerke sind mit einem Auszug aus der Bibel sowie der Jahreszahl der Erbauung und figürlichen Abbildungen wie Löwe, Armbrust und Pfeile beschnitzt. Die Gefache unterhalb der Fenster der Oberstöcke sind mit Brüstungsbohlen ausgekleidet, die eine Gestaltung mit geschnitzten Ornamenten, wie Fächerrosetten, zeigen. Die Ausarbeitung der Ornamente ist recht unterschiedlich, zum einen füllen sie die Breite einer Brüstungsplatte zwischen den Ständern, zum anderen ragen sie über zwei Felder und überspannen dabei den Ständer. Außerdem fällt auf, dass die Rosetten ungleichmäßig in Größe und Form ausgearbeitet sind. Aus einigen Brüstungsfeldern wurden ein bis zwei Rechtecke mit rundbogiger Bekrönung, sogenannte Arkaden, ausgeschnitzt, eine neue Schmuckform, die erstmals am Bunten Hof in Osterwieck anzutreffen war. Das Ausschnitzen von Arkaden setzt sich an den Ständern der Fassade fort. Verkröpfungen in der durchlaufenden Brüstungsbohle im Bereich der Ständer imitieren ein Kapitell.
Der Unterstock der Rückfront war bauzeitlich ein Bestandteil der Fachwerkkonstruktion und besteht heute, nach einer Baumaßnahme im 20. Jahrhundert, aus Ziegelsteinmauerwerk. Im ersten und zweiten Oberstock zeigt sich die bauzeitliche Ständeranordnung. Eine Riegellage teilt die Gefache in der Höhe in zwei Felder.
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Abb. 3 Treppe zum Dachgeschoss (DFZ Qlb.)

Im Inneren:

Die Erschließung des Unterstocks erfolgte zur Bauzeit über eine Toreinfahrt im nördlichen Bereich. Die darüber liegenden Stockwerke werden über eine Treppenanlage erreicht. Durch einen Mittellängsunterzug und eine darunter verlaufende Wand werden die Stockwerke in zwei Schiffe, durch eine Bundwand in der Gebindeachse 5 in zwei Zonen gegliedert. Eine weitere Raumteilung durch gerüstunabhängige Querwände findet sich in allen Stockwerken.
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Abb. 4 Unterstock (DFZ Qlb.)

Traggerüst / tragendes Skelett, Konstruktion, Baumaterial:

Die Fachwerkkonstruktion des Gebäudes besteht aus 10 Gebinden. Bei der Errichtung des Fachwerkgerüstes wurden für Außenwandständer, Deckenbalken und Unterzug Eichenhölzer und für innere Fachwerkwände Nadelhölzer verwendet, teilweise mit Waldkante. Je nach Lage und Funktion haben die Hölzer unterschiedliche Querschnitte. Mittels Schlitz-Zapfen-Verbindung fügte der Zimmermann die waagerechten (Schwellen, Rähme und Riegel), senkrechten (Ständer) und schrägen (Streben) Hölzer des Fachwerks zusammen und festigte diese Verbindungen mit Holznägeln. Die zur Aussteifung in Längs- und Querrichtung angebrachten Kopfstreben zapfen jeweils in Ständer und Deckenbalken.
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Abb. 5 2. Oberstock Die Pfeile kennzeichnen die Zapfenlöcher in den Decken-balken für die bauzeitlichen Kopfbänder (DFZ Qlb.)
Es entstanden in Längsrichtung in allen Stockwerken tragende Ständerreihen in den Traufwänden mit einem Achsabstand von ca. 1.22 m (Mittelwert) sowie einen tragenden etwas außermittig angeordneten Unterzug in allen Stockwerken. Der Achsabstand zwischen Traufwänden und Unterzug beträgt im zweiten Oberstock ca. 6.60 m und 4.45 m (von Ost nach West). Konstruktive Querwände bilden sowohl die Giebel als auch die Bundwand der Gebindeachse 5. Sie stehen in einem Abstand von 4.45 m und 6.20 m (von Süd nach Nord) zueinander.
Zur Queraussteifung des Gebäudes erhielten vermutlich alle Außenwandständer in den Innenraum ragende Kopfstreben, anhand der Zapfenlöcher in den Deckenbalken nachweisbar. Die Eckgefache der Randgebinde wurden mit einer Kopfstrebe und einer dreiviertelhohen Fußstrebe ausgestattet, um das Gebäude in Querrichtung auszusteifen (2).
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Abb. 6 Bauzeitliche Ausfachung des Giebels mit Stakenhölzern und Strohlehmbewurf (DFZ Qlb.)
Die Ausfachung der Wände von 1578 erfolgte durch ein Strohlehmgemisch auf Stakenhölzern mit Flechtwerk, darüber ein Strohlehmputz. In der nördlichen Giebelwand sind Wandfragmente mit bauzeitlicher Füllung bis heute erhalten geblieben. Die Bauweise der inneren Trennwände unterscheidet sich je nach Bauzeit, einige wurden als Fachwerkwände mit unterschiedlichen Ausfachungen, andere massiv als Ziegelsteinwände errichtet. Ein Strohlehmgemisch, teilweise mit Tierhaaren versetzt, verkleidet beispielsweise die Wände des 17. und 18. Jahrhunderts. Die Ausfachung der Traufwände in Ziegelstein resultiert aus einer Umbauphase im 19. Jahrhundert.
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Abb. 7 Systemskizze des Dachwerks (DFZ Qlb.)
Über den Stockwerken liegen die Decken- und Dachbalken, von einem mittleren Unterzug unterstützt. Diese sind an den Enden mit Rähm und Stockschwelle verkämmt. Die Deckenfelder wurden mit Lehmwickeln geschlossen. Die abschließende Dachkonstruktion ist ein doppeltes Kehlbalkendach, bestehend aus 10 Gespärren. Ihre Sparren zapfen in die Dachbalken und wurden im Dachfirst mittels Scherzapfen verbunden. Die Kehlbalken sind mit einem einseitigen Schwalbenschwanzblatt an die Sparren angeblattet.
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Abb. 8 2. Dachgeschoss; Fußstrebe blattet an Stuhlsäule des Randgebindes an (DFZ Qlb.)
Die Gespärre der Giebel und in der Gebindeachse 5 sind als Bindergespärre (Vollgespärre) ausgebildet. In der 1. Dachebene wurden drei Stuhlpfetten (konstruktive Längsrahmen) errichtet. Um das Dachwerk in Längsrichtung auszusteifen, erhielten die Stuhlsäulen unterhalb der Längsrähme Kopfstreben. Die Stuhlsäulen des ersten und des letzten Gebindes unterhalb der Rähme erhielten zudem Fußstreben - an die Stuhlsäulen angeblattet - zur Aussteifung in Querrichtung. Alle Verbindungen im Dachwerk erhielt eine Holznagelsicherung.
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Abb. 9 1. Dachgeschoss, das Längs-rähm zapft in die Stuhlsäule des Randgebindes; Fußstrebe des 2. Dachgeschosses blattet unten an Längsrähm an; Sicherung mit Holznagel (DFZ Qlb.)
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Abb. 10 Abbundzeichen an den östlichen Dachsparren: römische Ziffern in Kombination mit Dreiecksausstichen (DFZ Qlb.)

Abbundzeichensystem:

Die Hölzer wurden von den Zimmerleuten mit sogenannten Abbundzeichen als Kennzeichen ihres Bestimmungsortes im Bau markiert.
Anhand des nicht ausgebauten Dachgeschosses sind die unterschiedlichen Abbunde bedingt nachvollziehbar. Zunächst steigt die Zeichenzahl in Längsrichtung gebindeweise von Süd nach Nord an, ablesbar an den Sparren der östlichen Dachfläche; die Bauteile erhielten Beilhiebe bzw. römische Ziffern (3) in Kombination mit Dreiecksausstichen. Jedoch wechselt die Seite der Abbundkennzeichnung. Demzufolge erhielten die westlichen Bauteile vermutlich eine Kennzeichnung in römischen Ziffern. Ebenfalls gekennzeichnet wurde die Stuhlkonstruktion. In Querrichtung erhielt die Stuhlsäule entsprechend der Gebindezahl einen Beilhieb mit dreieckigen Ausstichen. Eine weitere Kennzeichnung erfolgte in Längsrichtung, erkennbar an den Stuhlsäulen und Kopfbändern des Vollgespärres in Gebindeachse 5. Die Kennzeichnung "2" erhielt beispielsweise die mittlere Stuhlsäule auf der Ostseite als römische Ziffer und die östliche Stuhlsäule mit ihren Kopfstreben auf der Westseite in Form eines Beilhiebes mit Ausstichen. Weitere Abbundzeichen an den Sparren deuten auf eine Zweitverwendung von Hölzern bzw. auf einen Umbau des Dachstuhls hin.
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Abb. 11 Abbundzeichen an den östlichen Dachsparren: römische Ziffern in Kombination mit Dreiecksausstichen (DFZ Qlb.)

3. Abriss der Baugeschichte

1578 vermutlich als Wohnhaus errichtet, ist der Löwe auf einer Brüstungsplatte des ersten Oberstocks möglicherweise ein Hinweis darauf, dass der Hauseigner das Braurecht besaß (4). Auf den zwei nördlichen Ständern der Fassade im 2. Oberstock sind Armbrust und Pfeile geschnitzt. Diese Utensilien eines Schützen symbolisieren möglicherweise den Namen des Hausbesitzers zur Bauzeit - Herr Schuttke. Da sich die drei Pfeile im Familienwappen der von Schierstedts wiederholen, lässt sich ein Bezug zu diesem Haus vermuten. Es ist jedoch nicht nachgewiesen, ob die Familie von Schierstedt das Haus erbauen ließ (5).
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Abb. 12 Lage der bauzeitlichen Toreinfahrt (DFZ Qlb., 2011)
Bauliche Veränderungen zeigen sich bereits an der Straßenfassade des 1578 errichteten Fachwerkhauses. Bauzeitliche befand sich im nördlichen Bereich zwischen den Gebinden 8 und 10 eine Toreinfahrt. Als Indiz sprechen sowohl der aus dieser Zeit stammende Eckständer mit seiner Schnitzerei als auch das fehlende Zapfenloch im bauzeitlichen Deckenbalken der Gebindeachse 9 für eine in den Innenraum ragende Kopfstrebe.
Auf einer Fotografie aus der Zeit um 1900 befindet sich die Einfahrt weiter südlich - zwischen Gebindeachse 6 und 9 - mit einem Tor im klassizistischen Stil. Das bauzeitliche Tor wurde geschlossen und ein Schaufenster eingebaut. Zu dieser Zeit befand sich im Unterstock eine Bäckerei. Die Fassade war einfarbig gestaltet, lediglich die Inschrift und der Löwe wurden farblich betont. In jüngerer Zeit wurde die Einfahrt geschlossen und durch eine Tür ersetzt.
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Abb. 13 Brüstungsbohle mit Löwe, als Symbol für das Braurecht (DFZ Qlb., 2013)
Die bauzeitliche Raumstruktur lässt sich heute nicht mehr ablesen; lediglich Wandfragmente im Bereich der Gebindeachse 5 (mittige Trennwand in Querrichtung) sind in den oberen Stockwerken erhalten geblieben. Barocke Rahmenfüllungstüren mit profiliertem Blendrahmen befinden sich noch in den oberen Stockwerken. Von den Stuckdecken aus dem Jahr 1592, die Schauer in seiner Publikation benennt, war bei der Objektbesichtigung 2012 nichts mehr vorhanden (6).
Weitere Veränderungen in der Raumstruktur erfolgten vermutlich bei einer umfassenden Restaurierung im Jahr 1956 nach Entwürfen des Stadtbaumeisters Span (7). 1976 sollten im Zuge der Sanierungs und Modernisierungsmaßnahmen in Osterwieck die Wohnhäuser an die städtische Entwässerung angeschlossen und die Wohnungen mit Toilettenräumen ausgestattet werden. In der Mittelstraße 26 wurde somit ein Toilettenturm an der Rückfront angebaut (8), dieser wurde wohl mit den letzten Umbaumaßnahmen wieder abgebrochen und die Öffnungen mit Gasbetonsteinen geschlossen. Eine Osterwiecker Malerfirma gab der Fassade 1987 einen neuen Anstrich (9). Letzte Umbaumaßnahmen zu Beginn des 21. Jahrhunderts, wie der Einbau moderner Sanitäranlagen, blieben unvollendet.
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Abb. 14 Rückfront; Lage des Toilettenturms von 1976 (DFZ Qlb., 2011)
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Abb. 15 Rekonstruktion der Fassade mit Toreinfahrt nach einer Abbildung von 1911 ((DFZ Qlb., S. Ruscitti, 2011)

Quellen-, Dokumentations- und Literaturnachweis

Binding, Günther; Fachterminologie für den historischen Holzbau, Fachwerk – Dachwerk, 2.Auflage, Köln, 1990.
Gille, Theo; Osterwieck am Harz, Verlags-GmbH Höller und Zwick, Braunschweig, 1990,
Jacobs, D. Dr. Ed., Zeitschrift des Harz-Vereins für Geschichte und Altertumskunde, Wernigerode, 1910.
Schauer, Hans-Hartmut; Die Fachwerkstadt Osterwieck. Verlag für Bauwesen. Berlin 1997.
Thiele, Klaus; Osterwieck, Die Fachwerkstadt aus dem Reformationsjahrhundert, Harz-Forschung 26, Lukas Verlag, 2012.